1835 August Wilhelm von Schlegel
“Wie kam gerade Schiller dazu, über einige in Bürgers Gedichten stehen gebliebene gesunde Derbheiten wie ein Rhadamantus zu Gericht zu sitzen? Der Verfasser der Räuber, in dessen früheren Gedichten und Dramen so manche Züge jedes zarte Gefühl verletzen, mußte wissen, wie leicht genialischer Übermuth zu wilden Ausschweifungen fortreißt. Oder war es gerade das Bewußtseyn dieser neuerdings mit ihm selbst vorgegangenen Verwandlung, was ihn so unerbittlich strenge machte? Und hatte er denn wirklich die alte Haut so vollständig abgestreift, als er damals glaubte? Überdies hat Schiller durch diese Beurtheilung nur eine schwache Probe seiner Kennerschaft gegeben. Er hätte Bürgern nicht tadeln sollen, weil er ihn nicht gehörig zu loben verstand. Wie er das Wesen der Gattung, worin Bürger wenigstens zuweilen ein vollendeter Meister war, begriffen hatte, das zeigen die Balladen, die er später, wetteifernd mit Goethe, aber gegen den Willen der Minerva dichtete. Es hat hiebei eine Nemesis gewaltet, und Bürgern ist, zwar erst nach seinem Tode, die vollständigste Genugthuung zu Theil geworden, indem nun die Vergleichung zwischen der Lenore, dem wilden Jäger, der Tochter des Pfarrers zu Taubenhain, den Weibern von Weinsberg, und dem Fridolin, dem Taucher, dem Ritter von Rhodus u.s.w. angestellt werden kann.”

1837 Johann Wolfgang von Goethe [Gespräche mit Eckermann]
“Nach solchen Äußerungen über die Einflüsse bedeutender Personen auf ihn kam das Gespräch auf die Wirkungen, die er auf Andere gehabt, und ich erwähnte Bürger, bey welchem es mir problematisch erscheine, daß bey ihm, als einem reinen Naturtalent, gar keine Spur einer Einwirkung von Goethe's Seite wahrzunehmen. ´Bürger, sagte Goethe, hatte zu mir wohl eine Verwandtschaft als Talent, allein der Baum seiner sittlichen Cultur wurzelte in einem ganz anderen Boden und hatte eine ganz andere Richtung. Und jeder geht in der aufsteigenden Linie seiner Ausbildung fort, so wie er angefangen. Ein Mann aber, der in seinem dreyßigsten Jahre ein Gedicht wie die Frau Schnips schreiben konnte, mußte wohl in einer Bahn gehen, die von der meinigen ein wenig ablag. Auch hatte er durch sein bedeutendes Talent sich ein Publicum gewonnen, dem er völlig genügte, und er hatte daher keine Ursache, sich nach den Eigenschaften eines Mitstrebenden umzuthun, der ihn weiter nichts anging.”

1839 Conversations-Lexicon Band 2
“War gleich B.´s moralischer Charakter nicht ganz fleckenlos, so sank er doch nie zur Gemeinheit herab. Güte des Herzens, Anspruchslosigkeit, Rechtlichkeit wiegen seine Fehler, welche er ohnehin bitter genug entgelten mußte, bei weitem auf. - Seine Gedichte leben größtentheils in dem Munde des deutschen Volkes und werden so lange darin leben, als Wahrheit und Natürlichkeit der Empfindungen nicht von ihm gewichen sind. Am höchsten stehen B.´s Romanzen; mimische Lebendigkeit und Fülle der Gedanken zeichnen sie durchgehend aus. Das eifrige Studium altenglischer Balladen hatte ihm in dieser Gattung den wahren Weg gezeigt. Seine ‘Leonore’ wäre allein hinreichend, ihm die Unsterblichkeit zu sichern. Auch im Liede, in der Ode, Elegie, poetischen Erzählung und im Epigramme versuchte sich B. mit dem größten Glücke. An Pracht und Fülle der Sprache kommt ihm kein Dichter seiner Zeit gleich. Das Sonett ward von ihm wieder zu Ehren gebracht und es gelang ihm meisterhaft; nur in scherzenden Gedichten war er unglücklich und er fiel zu leicht ins Derbe und Rohe, was freilich auch, wenigstens größten Theils, seinen individuellen stets ungünstigen Verhältnissen und dem genial sein sollenden Streben seiner Zeit angerechnet werden muß. Schiller faßte diese Schattenseite seiner Gedichte allzustreng auf und sprach ihm geradezu die Kunst zu idealisiren ab;[...].”

1853 Georg Gottfried Gervinus
“So erscheint denn Bürger als ein pathologischer und kritischer Dichter zugleich, als Natur- und Kunstpoet, als Volks- und Minnesänger, wie sein Landsmann Gleim, aus nordischer und südlicher Schule zugleich, beherrscht von Empfindungen und von Ueberlegungen; die Naturwahrheiten seiner Gemälde scheinen uns nachlässig mit grobem Griffel hingeworfen, und sind, in der Nähe betrachtet, wie so viele niederländische Bilder, mit dem feinsten Pinsel ausgemalt. Das Ungleiche der Behandlung, der Streit von Kunst und Natur, von Allgemeinheit und Besonderheit, von Begabtheit und leichtfertiger Benutzung des Talentes, von Poesieglanz und Plattheit fiel Schiller´n in unserem Volkssänger, auf der an Homer emporsah und die Frau Schnips besang, der unter das höchste Maß der Kunst gehalten zu werden verdiente und sich selbst so oft herabwürdigte, der eine Volksthümlichkeit in jenem höchsten Sinne anstrebte, nach dem er mit der Größe seiner Kunst die Kluft zwischen den gebildeten Ständen und dem Volke auszufüllen hoffte, und dabei sich mit dem Volke vermischte, zu dem er sich herablassen sollte.”

1853 Tinette Homberg
“Er ward als Dichter von seiner Zeit enthusiastisch verehrt; seine Balladen und erzählenden Gedichte wurden als das Höchste in dieser Art gepriesen. Auf den ersten Blick scheint dies Lob verdient; wenn man aber näher hinblickt, so findet man darin neben einander liegen: das Hohe und Gemeine, das Innigempfundene und das Frivole, den Ernst der Idee und den Leichtsinn des oberflächlichen Witzes, die Wahrheit der Natur und gesuchte Künstlichkeit, Lebendigkeit und Frische in der Komposition und dabei matte, zersplitternde Ausführung im Einzelnen, ohne organischen Zusammenhang; dazu kommt noch ein buntes Gemisch von Tugendbegeisterung und Lust an der Sünde, von Geschmack und Geschmacklosigkeit. Genug, in seinen Gedichten steht der ganze Bürger vor uns. Statt wahrhaft zu idealisiren (d.h. das Endliche, Vergängliche auf das Unendliche, Unvergängliche, was den Dingen innewohnt, zu richten) bringt er vielmehr eine Menge Formen, Farben, Bilder zusammen, die wohl durch einen gewissen Schimmer blenden, aber den feinern, ästhetischen Sinn nicht befriedigen. So hat er auch das Volkslied nur in seiner Entartung, wo es trivial und weitschweifig ist, aufgefaßt; die viel gepriesene Lenore gibt den Beweis davon!”

1856 Carl Leo Cholevius
“Solche Mordgeschichten wie Des Pfarrers Tochter zu Taubenhain sind blos geschmacklos, aber die schmuzigen Erzählungen Veit Ehrenhold und Die Königin von Golkonda, ferner die freche Frau Schnips, gegen welche der alte naive Volksschwank von Hans Pfriem ein wahrer Juwel ist, sind ein moralischer Flecken, und ihnen gleichen Bacchus, Fortunens Pranger, Der Raub der Europa, Die Menagerie der Götter. Dies Alles steht mit Wieland´s auflösender Ironie und Lüsternheit in Verbindung und erinnert an seine Griechischen Erzählungen. Welchen anderen Gebrauch verstand Schiller in seinen Balladen von der antiken Sage zu machen!”

1857 Joseph von Eichendorff
“Nur Bürger blieb sein Leben lang ein Student: unordentlich im Leben, Lieben und Dichten, bald hinter dem Schreibtisch fleißig den Homer übersetzend, bald als stattlicher Ritter mit seinem ‘Karl von Eichenhorst’ hoch auf dem Dänenroß, bald wieder sein Bündel schnürend und auf lustiger Wanderschaft in den Kneipen seines ‘Dörfchens’ oder bei ‘Frau Schnips’ einkehrend. Bürger war ein echter Sangesmund, der melodische Klang war ihm eingeboren und hat z. B. in seiner unsterblichen ‘Lenore’ Wunder gethan. Das machte ihn so populär vor allen seinen Zeitgenossen, daß er Lust und Schmerz, den Dämon und den Engel in der eigenen Brust, überall sich selber ganz und unverhohlen gab. Aber seine Popularität hat eben deshalb häufig etwas Renommistisches, Forcirtes, ja widrig Gemeines. Denn ihm fehlte zum Volksdichter, wonach er strebte, nichts als die sittliche Haltung und Würde, deren Mangel sich aber unter dem leichten durchsichtigen Gewande des Volksliedes nicht wie in der vornehmen Gelehrtenpoesie mit verschnörkelter Rhetorik verhüllen oder gar verschönern läßt.”

1857 Herders Conversations-Lexikon
“geb. 1. Jan. 1748 zu Wolmerswende bei Halberstadt,[...] Zu diesen Bedrängnissen kam eine Recension von Schiller, die B. und seine Gedichte heruntersetzte (Göthe behandelte B. mit vornehmer Sprödigkeit) u. tief kränkte; der willkommene Tod erlöste ihn den 8. Juli 1794. B.s Leben unterliegt allerdings schwerem u. gerechtem Tadel und hat den Dichter durch Leiden genug gestraft; nichtsdestoweniger ist er einer der ersten deutschen Dichter, namentlich durch seine Balladen, von denen einige in das Volksleben übergegangen sind; auch von seinen Liedern nehmen mehrere einen Ehrenplatz in der deutschen Poesie ein. Von B.s Humor zeugen ´die wunderbaren Abenteuer u. Reisen des Freiherrn von Münchhausen´.”

1859 Julian Schmidt
“Wenn Fiesco, als er sein Weib umgebracht, ´viehisch um sich haut´ und ‘mit frechem Zähneblöken gen Himmel’ den Wunsch ausspricht, ‘den Weltbau Gottes zwischen den Zähnen zu haben und die ganze Natur in ein grinsendes Scheusal zu zerkratzen; bis sie aussehe, wie sein Schmerz;’ - wenn Verrina ‘bei allen Schaudern der Ewigkeit’ ihm zuschwört, ‘einen Strick wolle er drehen aus seinen eigenen Gedärmen und sich erdrosseln, daß seine fliehende Seele in gichtrischen Schaumblasen ihm zuspritzen solle’: - so empfindet man wohl, daß jene bittere Anklage gegen Bürger zugleich ein reuiges Bekenntniß [Friedrich Schillers] enthält.”

1860 Neues Conversations-Lexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon.
“Und so finden wir denn auch bei B. eine große Vorliebe zu glühendem Colorit, eine Behandlung der Sprache, eine malerische und vollendete Anmuth der Darstellung, die an und für sich hinreißend ist. [...] Seine ‘Lenore’ [...] hätte allein gereicht, dem Dichter, wie A.W. Schlegel sagt, Unsterblichkeit zu sichern. Außerdem lassen andere erzählende Gedichte, wie ‘Das Lied vom braven Manne; der wilde Jäger; Robert; das Lied von der Treue; der Kaiser und der Abt; Schön Suschen“, die große dichterische Begabung nicht verkennen; ja, sie sind Meisterstücke ihrer Art. In seinen rein lyrischen Gedichten finden sich zwar ebenfalls böse Auswüchse, hervorgegangen aus dem einseitigen Begriff von ‘volksmäßig’; in den Liebesgedichten sind meistens individuelle Empfindungen und die ganze Stärke aufgeregter Leidenschaft das vorwiegende Moment, und die innig scheinenden Lieder gewinnen ein ganz anderes Licht, wenn man an sein unsittliches Verhältniß denkt. Einige (‘Neues Leben; die Holde, die ich meine; Minnesold’) aber zeichnen sich durch Innigkeit und Tiefe der Empfindung aus, die wir auch in den lyrischen Gedichten antreffen, in welchen er andere Stoffe, die er vollkommen beherrscht, poetisch gestaltet (‘das Dörfchen; Auch ein Lied an den lieben Mond; an die Hoffnung; Blümchen Wunderhold’). Von einer ganz besonderen Schönheit sind seine Sonette, welche, seit Flemming nicht gepflegt, er wieder in die deutsche Literatur eingeführt hat; sie gehören zu den vortrefflichsten, welche überhaupt gedichtet worden sind (‘an das Herz’). Schiller sagt von ihnen, die theils in Jamben, theils in Trochäen gedichtet sind, sie seien Muster ihrer Art, die sich auf den Lippen des Declamators in Gesang verwandeln.”

1864 Hermann F. Kahle
“Wer mit demjenigen aus dem Bereich der Poesie bekannt werden will, was dem Volke gefällt, der muß Bürgers Gedichte lesen; denn keines deutschen Dichters Werke mögen in dem Umfange und mit der Begier vom Volke auswendig gelernt worden sein, als die Bürgerschen; was dem Volke frommt, das läßt sich aus ihnen freilich leider nicht lernen; in dieser Beziehung steht Claudius unendlich höher; denn man kann dem Volke den ganzen Claudius geben und wird ihn ihm geben und erhalten müssen; wo immer man auf dessen Veredlung sein Augenmerk richtet; aber die Bürgersche Muse liefert hierzu gar wenig Beiträge; vielfach sind Bürgers Gedichte ein nur zu treues Abbild seiner verunsittlichten Persönlichkeit.”

1864 Arthur Schopenhauer
“Mit welchem Fug und Recht maaßen sich die Zeitungsschreiber und Journalisten einer litterarisch heruntergekommenen Periode an, die Sprache zu reformiren? Sie thun es aber nach dem Maaßstabe ihrer Unwissenheit, Urtheilslosigkeit und Gemeinheit. Aber Gelehrte und Professoren, die ihre Verbesserungen annehmen, stellen sich damit ein Diplom der Unwissenheit und Gemeinheit aus. —
 Wer ist denn dieses Zeitalter, daß es an der Sprache meistern und ändern dürfte? — was hat es hervorgebracht, solche Anmaaßung zu begründen? Grosse Philosophen, — wie Hegel; und grosse Dichter, wie Herrn Uhland, dessen schlechte Balladen zur Schande des deutschen Geschmacks 30 Auflagen erlebt haben und 100 Leser haben gegen Einen, der Bürgers unsterbliche Balladen wirklich kennt. Danach messe man die Nation und das Jahrhundert, danach. [...]
Sie setzen Leuten Monumente, aus denen einst die Nachwelt gar nicht wissen wird, was sie machen soll. - Aber Bürgern setzen sie keines.”

1869 Julius Tittmann
“Den Vorwurf Schiller´s, daß in Bürger´s lyrischen Gedichten die von ihren Schlacken nicht befreite Individualität des Verfassers hervortrete, haben wir noch zu erweitern: die volksthümliche Dichtung soll das subjektive Wesen überall nicht verrathen, der Dichter eines ´Volksliedes´ tritt so sehr zurück, daß nicht einmal sein Name aufbewahrt bleibt. Die ´Popularität´ der bessern lyrischen Gedichte Bürger´s liegt eben im demjenigen, was Schiller vermißte, im Mangel idealisirter Empfindungen; in ihnen spricht das rein Menschliche derselben mit seinen Fehlern, Schwächen und Verirrungen, dem Erbtheil aller Sterblichen, allgemein an, da es an eigene innere Erlebnisse anklingt. Die Erhebung, welche nur durch die reine Darstellung des Schönen erreicht wird, werden sie nimmermehr weder dem Geiste noch dem Herzen bringen. Bürger´s Leben entbehrt aller wirklich poetischen Conflicte, sein Geschick war nicht tragisch, sondern beklagenswerth. Auch in der Liebe zu Molly liegt kein tragisches Moment; die subjective Willkür hatte über den geregelten Gang des bürgerlichen Lebens gesiegt, Bürger genoß ohne Kampf, und nur das allgemeine Menschengeschick raubte ihm diesen Genuß.”

1870 Klotilde von der Horst
“Er wird daher für die Literaturgeschichte stets wichtig bleiben, sowohl durch den Einfluß, den er mit seinen volksmäßigen Dichtungen auf Andere übte, als auch durch diese Dichtungen selbst, die, namentlich die Balladen und Sonette, zu dem Bedeutendsten gehören, was die deutsche Poesie aufzuweisen hat. Erstere, einzelne weniger gelungene ausgenommen, sind bis jetzt an Klang und Wohllaut noch nicht, nicht einmal von Schiller, an wahrer Volksmäßigkeit der Behandlung und des Ausdrucks nur von Goethe übertroffen. Aber wenn auch Bürger ein Dichter in der eigentlichen Bedeutung des Wortes ist, so weht doch in seinen Poesien, auch den gelungensten, von den in´s Frivole und Lüsterne fallenden gar nicht zu reden, etwas, was unangenehm berührt, ein Hauch des Unedlen, um es gelinde auszudrücken. Das schöne Wort, welches Goethe über Schiller sagte:
  Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
  Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine
könnte man auf Bürger umgekehrt anwenden, ihn beherrschte das Gemeine mehr wie Andere. Dies Unedle in seinen Dichtungen lag ebensowohl in seinen Charaktereigenschaften, die unläugbar neben der größten Biederkeit und Herzensgüte, Leichtsinn und Sinnlichkeit waren, als auch in seiner einseitigen Auffassung der Herder´schen Ideen über Volkspoesie. Herder sagt ganz richtig, daß keine Poesie echt und innerlich gesund sei, die nicht aus dem Leben und dem Ideenkreise des Volkes hervorgegangen ist, aber der Volksdichter soll nicht, wie Bürger diesen Ausspruch auffaßte und in manchen seiner Poesien verwirklichte, nur für die Fassungskraft der Masse des Volkes schreiben, sondern den Abstand, der nach und nach durch Kenntnisse und Cultur zwischen den Gebildeten und dem Volke entstanden ist, durch seine Kunst aufheben, und ebensowohl für den gebildeten Geschmack des Kenners, wie für den natürlichen des Volkes schreiben. Eine der schwierigsten Aufgaben der Poesie, die zu jeder Zeit nur dem größten Genius zu lösen gelingen wird.”

1871 Meyers Hand-Lexikon. Erste Hälfte.
“Bürger, Gottfr. Aug., Dichter, geb. 1. Jan. 1748 zu Molmerswende bei Harzgerode, Sohn eines Predigers, seit dem 11. Jahre von seinem Grossvater, dem Hofesherrn Bauer in Aschersleben, erzogen, studirte auf des letztern Wunsch in Halle Theologie, wandte sich dann dem Studium der Rechte und den schönen Wissenschaften zu, seit 1768 in Göttingen, wo er später mit den Dichtern des göttinger Bundes bekannt wurde. Hier, wie schon in Halle, führte er ein wüstes Leben, von dem er sich nicht mehr dauernd frei machen konnte; ward 1772 durch Boies Einfluss Justizamtmann in Altengleichen, schloss 1774 eine unglückliche Ehe, da er eigentlich die Schwester seiner Frau (Molly) liebte, gab 1789 seine Stelle auf, lebte als Docent an der Universität zu Göttingen, ward 1789 Prof. das., aber ohne Gehalt; fristete sein Leben in Noth und Elend, das durch Schillers Kritik seiner Gedichte (1791) wesentlich gesteigert ward; gest. 8. Juni 1794. Bedeutend durch die volksthümliche Richtung seiner Poesie, namentlich in seinen Balladen (zuerst ´Lenore´ 1774, angeregt von Percys Sammlung altengl. Balladen) und Liedern; die Sonette (die ersten deutschen seit Gottsched) erhielten selbst Schillers Lob. [...] Die ihm zugeschriebenen ´Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen` (1787) sind nicht von ihm.”

1872 Seligmann Heller
“In Bürger's Liebesgedichten nehmen jedoch die unsterblichen Molly-Lieder unser Hauptinteresse in Anspruch. Keine Nation der Welt, nicht die feurigen Italiener, nicht die leicht- und heissblütigen Franzosen, haben etwas aufzuweisen, was nur im Entferntesten mit diesen kostbaren Perlen deutscher Lyrik zu vergleichen wäre. Die Thränen des grossen Dichters mögen oft auf das Blatt gefallen sein, auf welches er seine Sehnsucht, sein unaussprechliches Glück und Elend, seine Wonne und seine Verzweiflung mit zitternder Hand und in so brennenden Farben malte. Diese Liebe war nach Gesetz und Herkommen eine verbrecherische, er und sie wehrten sich Anfangs dagegen; aber sie war bestimmt, ihm die Dichterkrone, wie in Höllenflammen glühend, aufs Haupt zu drücken, wenn sie auch für kleine Seelen ihm ein unauslöschliches Brandmal auf der Stirne zurückliess. Was sind das für Töne! welche Wahrheit, welche Kraft! In dieser Weise hat die Poesie noch nie das innerste Verlangen ausgesprochen, wird sie es nicht weiter aussprechen. Das erste Aufflackern dieser Leidenschaft, das beiderseitige Widerstreben, das Verzehrende dieses Kampfes, das Sichwiederfinden dieser Liebenden, ihre Seligkeit, Molly's Werth, Molly's Schönheit und Treue, das süsse Kosen, ihre plötzliche Reue, wie sie sich losreissen will, ein Aufschrei seiner ganzen Natur in den Accenten der tiefsten Tragik, ihr Wiederkommen, neue entzückende Lust, ihre Vermählung, wo in hochherrlichen Hymnen der Dichter den Lorbeer der Vollendung sich selbst um die Schläfe windet, und endlich ihr frühzeitiger Tod, sein dumpfes Herumirren, seine schmerzenvolle Klage, seine Verlassenheit - das sind wahrlich ganz andere Lieder und Reime als die wohlgedrechselten Sonette und Canzonen eines Petrarca oder als Schillers unreife Erotik. Nur in den Liederfragmenten der Sappho begegnen uns ähnliche Accente, und einige wenige Elegien des Tibull athmen etwas von dieser Zartheit und Lieblichkeit. Auch Sonst feiert Bürger in einer Menge der köstlichsten Gedichte die Macht der Liebe, bald tändelnd und schäkernd, bald innig und fröhlich, bald heiss und schmachtend, bald in ruhiger Betrachtung - immer weiss sein unermüdlicher Pinsel uns mit neuen Gestalten und Phantasien zu berücken, immer der Sprache jenen prometheischen Funken einzuhauchen, der vor ihm unserer gesammten Poesie fehlte. Und auch nach Bürger ist ein Gedicht wie Schön Suschen nicht weiter gemacht worden. Eine solche Harmonie in Wort, Wendung und Gedanken, ein so edler und reiner Rhythmus, eine solche Meisterschaft bei solcher kindlicher Einfachheit ist selbst Goethen nur in den seltensten Fällen gelungen, bei Schiller wird man solche Vorzüge vergebens suchen.”

1875 Wilhelm Dilthey
“Schiller instruierte förmlich einen Prozeß gegen den Volksdichter Bürger und den Beifall, den er in der Nation gefunden hatte. Er trat den Beweis an, daß Bürger in intellektueller und sittlicher Beziehung unter dem Niveau der gebildeten Klassen stände, an welche seine Gedichte gerichtet seien. [...] Wenn heute der Prozeß noch einmal instruiert werden sollte, so liegt nun für den Punkt, den Schiller ins Auge faßte, die Persönlichkeit, welche hinter den Dichtungen steht, ein umfassendes Beweismaterial für Anklagen und Verteidigungen vor. Es liegt vor in einer unverkürzten und ganz authentischen Gestalt; wenigstens nur an wenigen Stellen ist das Privateste unterdrückt. Wir verdanken diese Vorlage des ganzen Tatbestandes dem unermüdlichen und erfolgreichen Sammelfleiß von Adolf Strodtmann, welcher in vier Bänden die gesamte erreichbare Korrespondenz Bürgers dem Publikum vorgelegt hat. Das Interesse dieser Korrespondenz reicht aber weit hinaus über die Person Bürgers, ein bedeutender Teil jener dichterischen Generation tritt hier höchst anschaulich und in realistischen Zügen vor das Publikum. Ein guter Teil des allgemeinen Urteils von Schiller über diese poetische Gesellschaft kann hier an ihren Personen bemessen werden.”

1875 Adolf Strodtmann
“Ein glühender Haß gegen Fürstenwillkür, Adelsübermuth, Archonten-Nepotismus und politische Barberei zieht sich durch den ganzen Briefwechsel Bürger´s und Goeckingk´s, wie er sich auch in ihren Gedichten oft genug Luft macht. Bürger´s Zornlied des Bauers ‘an seinen durchlauchtigen Tyrannen’, dies an Kraft und Kühnheit unübertroffene Vorbild unserer späteren social-politischen Dichtung, entstand lange vor der französischen Revolution. [...] Es versteht sich von selbst, daß Bürger sowohl wie Goeckingk bei ihren demokratischen Gesinnungen den Ausbruch der französischen Revolution mit nicht minderem Jubel begrüßten, als Klopstock.”

 

Meinungen ab 1880